Meiner Meinung nach sollte es deutlich mehr Menschen wie Günter Wallraff geben. Menschen, die auf Missstände in unserer Gesellschaft hinweisen, die Dinge aufdecken wo andere wegschauen. Seit seinem Buch „Ganz unten“ verehre ich Wallraff dafür. Mögen seine Methoden manchmal nicht astrein sein, aber sie sind eben ein Mittel. Und bei einem Skandal, wie Wallraff ihn nun bei GLS aufdeckte, ist es einfach unbedingt notwendig, dass man derlei mal beleuchtet.
In Zeiten des boomenden Online-Handels – immerhin wird heute beinahe mehr im Netz eingekauft, als in großen Einkaufszentren – sind die Zulieferdienste ein wichtiges Rädchen in dem System. Mittlerweile ködern viele Anbieter ihre Kunden mit „versandkostenfreier Lieferung“, weil sie mit vielen Paketdiensten spezielle Vereinbarungen haben.
Und eben diese Vereinbarungen gehen zu Lasten der Paketauslieferer. Sie müssen oftmals für einen Hungerlohn schuften und sich von einem Konzern wie GLS ausnehmen lassen, so berichtet es Wallraff in seiner Reportage.
Ein Blick auf den Skandal
Ich werde das Thema anreissen, damit alle Leser ungefähr auf dem selben Stand sind: GLS gehört zu den größten, europäischen Logistikunternehmen. Und heutzutage muss das Geschäft mit dem Paket einfach schön billig sein, immerhin ist das auch die Mentalität nahezu aller Kunden (wir sind teilweise an diesem Skandal mitschuld…). Um das zu gewährleisten, muss massiv an der Schraube gedreht werden. Und das geht zu Lasten der Fahrer. Diese sind bei GLS nicht selbst angestellt, sondern werden über sogenannte Subunternehmer beschäftigt, die wiederum selbstständig für GLS tätig sind (Stichwort: Scheinselbstständigkeit), wie Wallraff anführt. So hat das Unternehmen einerseits keinen Stress mit Arbeitsverträgen und Personalkosten und schiebt zugleich die ganze Verantwortung für die Arbeitnehmer und natürlich auch für die zahlreichen Missstände auf die Subunternehmer ab, so berichtet es Wallraff, der dafür mehrere Wochen lang undercover in dem Unternehmen arbeitete.
Irritierenderweise seien diese „Subunternehmer“ aber in den meisten Fällen Fahrer, die früher als Paketzusteller gearbeitet haben. Ihnen werde mehr oder weniger das große Geld vorgegaukelt, sie leasen, mieten oder kaufen Fahrzeuge und schon sind sie in der Falle. Denn in vielen Fällen habe GLS angeblich daraufhin massiv an der Preisschraube gedreht, weil man eben wusste, dass der Subunternehmer nun Geld benötigt, um seine Verpflichtungen zu erfüllen.
So schlecht wie den „mutmaßlich“ selbstständigen Subunternehmern gehe es auch den Fahrern selbst. Sie bekämen nämlich keinen Stundenlohn und werden pro Paket bezahlt. Das sind nur wenige Cent, so dass bei vielen ein Stundenlohn zwischen 2 – 4 € zu erwarten ist. Das perfide daran: Die Stunden werden nicht bezahlt und meistens dauert ein Zustelltag zwischen 12 – 15 Stunden, denn morgens muss der Wagen beladen werden. Und da man nur für ausgelieferte Pakete Geld bekomme, sind die zwei Stunde (oder auch mehr) quasi unbezahlte Arbeitszeit. In internen Unterlagen wird auch davon ausgegangen, dass die Regelarbeitszeit 12 Stunden beträgt, wobei alle Beteiligten wissen, dass das in kaum einem der Fälle zu schaffen ist (so zu sehen in der Fernsehreportage). Gleiches gilt auch im Falle von Großkunden, denen GLS den Service anbietet, Pakete zum Versand kostenlos bei ihnen abzuholen. Auch das bekommen die Fahrer laut Wallraff nicht bezahlt!!!
Wütend macht einen in dieser Reportage, die Wallraff für die Zeit und RTL gemacht hat, dass in den oberen Etagen die Missstände bekannt seien, sogar eher noch forciert würden. Hier habe scheinbar sogar das kleine Management Gefallen daran gefunden die Mitarbeiter „zu quälen“. Mit Bußgeldkatalogen würden sie auf Linie gebracht oder man nehme ihnen so den Lohn des Tages wieder weg. Wohlwissend, dass viele Fahrer sich einfach gar nicht wehren könnten, sie brauchen das Geld und müssten sich diesem skandalösen System unterwerfen.
Vom Management würden die Subs gewzungen, die Fahrer „auf Linie zu bringen“. So werde zum Beispiel bei Ruhe- und Pausenzeiten immer wieder getrickst und die Fahrer zum Lügen angehalten, genau das gleiche gelte auch für Stundenzettel und Co.
Schlimm daran ist, dass sowas in Deutschland irgendwie einfach so durchgeht. Scheinbar interessieren sich viele nicht für das Schicksal der Zusteller, die uns täglich unsere Päckchen bringen. Und auch wenn ich es nicht glauben wollte, aber es gibt scheinbar aber noch Menschen, die an Sklaverei glauben. Als nichts anderes ist ein derartiges System zu bezeichnen.
Man kann nur hoffen, dass der Staat durch diese Reportage aufgeschreckt wurde und sich die Logistikunternehmen einmal genauer anschaut, denn zwar steht jetzt eindeutig GLS am Pranger, aber es scheint deutlich zu werden, dass sich die Verhältnisse auch 1:1 auf andere Unternehmen in dieser Branche übertragen lassen. Hinzukommt die Unsicherheit im Strassenverkehr, weil die Fahrer chronisch übermüdet sind. Das System GLS gefährdet damit also nicht nur seine eigenen Fahrer, sondern auch die Mitmenschen, die zeitgleich mit ihnen auf der Strasse unterwegs sind.
Der Dienstleister Hermes hat angeblich bereits reagiert (hier fuhren die Mitarbeiter Pakete sogar mit ihren Privatfahrzeugen aus!) und nach einem Gespräch mit Wallraff angekündigt das System der „Bezahlung pro Paket“ abzuschaffen und einen Stundenlohn einzuführen. Hoffentlich kann man sich darauf verlassen.
Wie reagiert man darauf?
Wir als Kunden sind mitschuld an der Misere. Wir wollen es immer billiger und billiger und so kommt es, dass natürlich mit Dumpinglöhnen hantiert wird.
Wenn wir nicht mehr bestellen, dann nehmen wir den Fahrern die Grundlage ihres Jobs, bestellen wir einfach weiter wie bisher, dann wird sich an diesem System nix ändern.
Zumindest im Kleinen kann man etwas tun: Wenn demnächst der Bote bei uns schellt, dann sollte man wenigstens 50 Cent Trinkgeld für den jungen Mann haben. Das ist in den meisten Fällen mehr, als er an der Zustellung des Paketes verdient.
Ansonsten kann man nur hoffen, dass der Staat nun einschreitet und etwas dagegen unternimmt. Eine Idee der Gewerkschaft ver.di macht Sinn: Die Fahrzeuge der Unternehmen sollten alle mit Fahrtenschreibern ausgestattet werden, um sicherzustellen, dass alle rechtlichen Gegebenheiten eingehalten werden, wie z.B. Ruhe- und Fahrtzeiten. Zudem sollte der Transport mit dem Privatfahrzeug komplett untersagt werden, denn auch so zwingt man Menschen in eine Abhängigkeit.
Selten war ich so sauer, nachdem ich eine Reportage gesehen habe, ich denke das liest man hier auch. Es müsste eben mehr Menschen geben wie Wallraff, die sich einem solchen Problem annehmen und Missstände aufdecken, die wir anderen lieber verborgen lassen.
Ich hoffe er kann das noch lange machen oder er hat wenigstens seinen Nachfolger schon ausgebildet.
Vielen Dank für ihre Engagement, Herr Wallraff!!
Weiterführende Links und Artikel zum Thema
Wer sich mehr für das Thema interessiert, der findet hier eine Liste mit Links von Magazinen und Zeitungen, die ebenfalls über dieses Thema berichtet haben:
Wallraff deckt auf bei Financial Times Deutschland
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