Es ist heiß – und das bezieht sich nicht nur auf die Musik, sondern auch aufs Klima in der „Halle“ in Reichenbach. Auf der Bühne stehen sechs ambitionierte Musiker – Thomas Godoj und seine Band. Und wenn schon das Publikum am Schwitzen ist, wie ergeht es dann erst den Künstlern, die im Scheinwerferlicht auf der Bühne stehen?
Gitarrist Sebastian Netz schwingt das Handtuch. Aber ob das wirklich die erwünschte Abkühlung für die angepeilten Zuschauerreihen bringt? „Ich will ein neues Glück und frischen Wind“, heißt es in Godojs Hit-Single „Nicht allein“. Das mit dem neuen Glück mag stimmen: Die vierte Tour hat Thomas Godoj innerhalb von zwei Jahren am Laufen, mehr als siebzig Konzerte. Und jedes Mal ist die Begeisterung im Publikum groß – das godojanische Fanpublikum hat seinen Ruf unter den Veranstaltern mittlerweile schon weg. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die großen Hallen sind, in denen die Band auftritt, oder die kleinen Clubs. Im Dezember kam Thomas Godoj ins LKA nach Stuttgart und spielte dort vor ca. 1700 Leuten. Jetzt, auf dem zweiten Teil der Tour, sind die kleinen Läden an der Reihe. Jeder Musiker, der lange für den Durchbruch gekämpft hat, weiß, wo er herkommt: Aus eben diesen kleinen Locations, in denen es keine goldenen Wasserhähne und generöse Backstage-Garderoben gibt.
Hier gibt es dafür etwas anderes: Nähe zu den Leuten, die einem zuhören. Keine meterbreiten Bühnengräben, von denen aus die Künstler in eine große, anonyme Masse starren, sondern das Gefühl, jedem einzelnen in die Augen blicken, seinen Schweiß riechen zu können. Wobei wir wieder beim Thema Hitze wären – der „frische Wind“ lässt trotz Handtuch-Schwenkerei auf sich warten, aber das hält hier niemanden vom Feiern ab. „Das waren jetzt mal geschätzte 100 Grad – ein Menschen-Aufguss“, lacht der klatschnasse Thomas in der Bühnen-Sauna. Schwitzen ist ja bekanntlich gesund. Anschließend setzen die Jungs mit dem Rockkracher „Alles, was nicht existiert“ noch gehörig eins drauf – der Partylaune tut’s keinen Abbruch.
Am Rande des Geschehens stehen vier junge Frauen: Lisa, Jenny, Mara und Maria helfen normalerweise in der „Halle“ mit, aber heute haben sie frei. Die Neugier hat sie dennoch hergetrieben. „Wir dachten uns, schauen wir uns den Thomas mal an.“ Gekannt haben sie ihn alle vier vorher nur aus dem Fernsehen. Jetzt scheinen sie doch etwas überrascht, denn der menschliche Wirbelsturm auf der Bühne steht nicht nur da und singt, sondern liefert auch eine ordentliche Show ab. Wer auf englische Versatzstücke á la „Love is you“ wartet, ist fehl am Platz. Hier rockt es – und es rockt zum größten Teil auf Deutsch.
Passend zu den Temperaturen groovt die Vorband „B-Ebene“ das Publikum erstmal auf den Abend ein. Reggae, Rumba… fehlt nur noch der Bikini, wenn Boris „Der König ist tot“ singt oder schwärmt „Wie geil ist das denn“. Die Arme wandern nach oben, schwingen mit. Wenn das ein Aufwärmtraining ist, kommt anschließend der Hochleistungssport. Auf der Setlist von Thomas Godoj hat sich was getan. Der bei den vergangenen Touren gespielte Unplugged-Teil ist der Schere zum Opfer gefallen, statt dessen wird die ganze Angelegenheit jedes Mal ein bisschen härter. „Ich liebe diese kleinen Clubs“, schallt es von der Bühne in die Menge, und dann dürfen es René Lipps und Sebastian Netz auf ihren Gitarren so richtig krachen lassen.
Auch optisch ist die Band ein echter Hingucker: Scheinbar mühelos bewegen sich die Musiker auf der überschaubaren Bühne; die Choreographie sitzt, passt sich thematisch Melodie und Texten an, ohne jemals einstudiert zu wirken. Und an vorderster Front ein Leadsänger, der über das verfügt, was einen Live-Künstler auszeichnet: Charisma, Bühnenpräsenz, eine Ausdauer, die an einen Hüpfball aus Hartgummi erinnert. Wenn Du stundenlang auf ein Konzert wartest, Dir die Füße wehtun und Du Dich grade an die Bar verziehen willst… die ersten Klänge erklingen on Stage, und alles ist wie weggeblasen. Wer das zustande bringt, hat es, das „gewisse Etwas“, das vonnöten ist, wenn man sich im Biz behaupten will.
Es gibt nur wenige Erholungspausen in den knapp zwei Stunden Spielzeit, denn die Balladen sind doch deutlich reduziert worden. „Uhr ohne Stunden“ ist eine davon, dann gibt es da noch „Zwycla Milosz“ in Thomas‘ Muttersprache Polnisch – hier sticht ein ausgiebiges Gitarrensolo besonders angenehm heraus – und „When the Tears are falling“. Das war’s dann aber schon mit anderssprachigen Titeln – „Richtung G“ (der Titel des aktuellen Albums) geht eindeutig die Marschroute hin zu Deutschrock. Zwischendurch werden die Fans gelobt. „Es ist super, dass wir seit zwei Jahren so eine tolle Fanbase haben.“ Dafür gibt’s extra Applaus. Und auch hier zeigt sich, dass Godoj weiß, woher er kommt: Jeder, der sich den Hintern auf kleinen Gigs abgespielt hat, weiß eine treue Anhängerschaft zu honorieren.
In der heftigst geforderten Zugabe dürfen sich alle Instrumentalisten nochmal ordentlich ins Zeug legen, liefert Torsten Bugiel am Schlagzeug ein fettes Solo ab, improvisiert Daniel Geist am Keyboard, greift Bassist Bonny Assan herzhaft in die Saiten wie die eingangs schon erwähnten Gitarristen. Am Ende sind sie alle klatschnass, auf und vor der Bühne. Während sich die Band zur Autogrammstunde erstmal umziehen geht, lassen Lisa, Mara, Maria und Jenny das Konzert nochmal Revue passieren. „Er hat uns auf jeden Fall überrascht“, sind sie sich einig. Positiv überrascht: Von der Stimme, der Musik und seiner ganzen Art. Und hätte Thomas Godoj an diesem Abend sein schweißgebadetes Shirt ausgezogen und in die Menge geworfen – eine von den vieren hätte es nur zu gerne gefangen… Kann es ein schöneres Kompliment für einen Künstler geben? Eine Liedzeile im neuesten Song „Dächer einer ganzen Stadt“ lautet: „Lass uns schwör’n, es wird immer so bleiben.“ Bleibt zu hoffen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.
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